Heute vor 40 Jahren begannen in Gdańsk die Streiks in der Leninwerft, die kurze Zeit darauf zur Gründung der Solidarność führten.
Wie Joanna und Georg, die Protagonisten meines Romans diesen Tag erlebten, erfahrt ihr hier:
Überall von der Hallendecke hingen Fernseher. Niemand beachtete sie und auch wir schauten zunächst nur flüchtig hin, so wie man eben hinschauen muss, wenn irgendwo ein Fernsehbild flimmert. Aber was wir da sahen, das traf uns so unverhofft, das ließ uns sofort alles vergessen, wir vergaßen Düsseldorf, die fremde Stadt. Wir vergaßen auch den Westen. Einfach alles hier. Wir sahen ein Fabriktor mit großen blauen Buchstaben darüber: Stocznia Gdańska. Danziger Werft. Eine riesige Menschenmenge davor, ebenso viele Menschen hinter dem Tor. Überall weiß-rote Fahnen. Ein Reporter, der außerhalb des Werktores stand, interviewte durch die Torstäbe hindurch einen unrasierten, schnauzbärtigen Typen. Der trug ein dunkles Jackett über einem karierten Flanellhemd. Neben dem Mann am Tor ein Bild von Papst Jan Paweł II. Der polnische Ton wurde unterdrückt und ins Deutsche übersetzt.
„Georg, was ist da los?“, fragte Joanna.
„Sie streiken, Joanna. In der Leninwerft.“
„Das sehe ich auch. Nun übersetze doch endlich, Georg!“
„Er spricht von politischen Forderungen. Es geht nicht nur um Lohnerhöhung, heißt es. Unabhängige Gewerkschaften. Redefreiheit, Pressefreiheit, so etwas. Sie fordern die Wiedereinstellung des Streikführers und einer entlassenen Kranführerin.“
Der Mann mit dem Schnauzbart wurde als Werftelektriker und Streikführer vorgestellt.
Und jetzt sagte der Streikführer noch einen Satz ins Mikrofon, der nicht übersetzt wurde, weil die westdeutschen Zuschauer genauso wenig davon verstanden wie ich:
„Wir wollen ein Denkmal für die Opfer vom Dezember 1970.“
Dann begann schon der nächste Beitrag über die Folgen eines Unwetters über Nordrhein-Westfalen. Ein Kneipenbesitzer stand in Gummistiefeln in seinem Lokal. Ein Toilettenhäuschen schwamm in einem Dorfteich.
„Was war damals los, 1970?“, fragte ich Joanna.