Dresden erLesen

Heute zum ersten Mal bei Dresden erLesen gelesen, wo praktischerweise am Tag des offenen Denkmals zahlreiche Erinnerungsbesucher, die den alten Zeiten des Pionierpalasts auf der Spur sind, unvermittelt auf eine Buchmesse treffen. Eben mit Lesungen und Verkaufsständen und allem drum und dran.
Die Plätze in meinem Ankleideraum für die Dame waren alle besetzt, und dort habe ich aus dem Ostseekapitel meiner „Joanna“ gelesen.

Caspar David Friedrich

Ich hab Dir ein Gedicht geschrieben,

Caspar David Friedrich. Ziehende Wolken

Im Wolkenhäuschen auf dem Brocken,

Dicht gepresst zwei Dutzend Leute,

Geeint im Dunst von Schweiß und regennassen Kleidern,

Alle Blicke gehen nach draußen.

Ich muss, dränge, schiebe Schultern beiseite, ins Freie!

Atme endlich tief. Auf Augenhöhe mit Gewitterwolken,

Die in rasendem Zug von Ost nach West

Verlieren im Vorbeiflug ihre schwere Last in schleppenden Schwaden.

Aus den Tälern, natürlich, steigen weiße Nebel auf.

Der Westwind, der da unten geht, treibt sie nach Ost.

Schnell ist starkes Papier aufgelegt.

Schnell saugt es erste Tropfen auf.

Schnell bilden erste Lachen sich und Bäche.

Die Zeichenkohle zieht weich und wolkig hindurch.

Ha! Wer an der Ostsee Gischt gezeichnet im Orkan,

Der zeichnet hier oben im Regen auch ziehende Wolken.


Stumm starrt im Rücken die Menge hinaus in den Regen.

Ein Kind: Wer ist der Mann?

Goethe vielleicht, ein Anderer.

Da stockt mir die Kohle, die gerade noch so leicht durch das Wasser glitt. Goethe! Dem hatte ich Bilder nach Weimar geschickt. Gut verklebt zwischen zwei großen Brettern. Nur damit er spotten kann: Friedrich malt so schlechte Bilder, dass es gleich ist, ob sie auf dem Kopfe hängen. Aber ein Wolkenlexikon sollte ich ihm malen, sklavische Ordnung in meine leichten, freien Wolken bringen!

Das Kind steht nun vor mir. Auf Augenhöhe mit meinem Blatt.

So schön, so schön, so schön, murmelt es.

Du siehst es von der falschen Seite, warf ich ein.

Es schüttelt den Kopf: Trotzdem schön.

Da! Reicht es mir ein kleines Stiftlein,

Verkohltes Hölzchen mit einem Zweiglein.

Ich setz es aufs Blatt. Es zeichnet hart wie Tannenholz.

Nicht so weich wie meine Weidenkohle.

Wo hast Du’s her?

Da! (Es zeigt ins Tal hinab) Von den verbrannten Wäldern.

Ich nicke. Gestern erst, statt meiner Tannen,

Hab ich gezeichnet die rätselvollen, planhaften Fraßgänge

Des Borkenkäfers auf ihren nackten Kadavern.

Meisterwerke.

Da! Ruft das Kind und war sogleich enttäuscht: Gar keine Menschlein zu sehen.

Denn wie auf ein Zeichen hatte sich der Vorhang gehoben,

Und die Erdplatte da unten lag ausgebreitet.

Ist das etwa der Blick, den Gott einnimmt?

Ohne allen Kleinkram und die Mühsal und das Leid.

Da! Ein gleißend helles Band von Ost nach West.

Zeichne mit dem harten Tannenholz einen scharfen Strich.

Nordharzautobahn

Da! Ruft das Kind und zeigt aus dem Wagenfenster.

Pass auf! Ein Anderer.

Schon drückt’s alle mit Gewalt in die Gurte.

Die Flüche des Chauffeurs zwischen Warnblinklichtern.

Da! Ruft das Kind. Die Sonne.

Zwar gleißen nun Beton und tropfende Karossen,

Ein Leuchten und Scheinen,

Die Flüche des Chauffeurs jedoch wollen nicht enden.

Das Kind aber zeigt hinauf: Der Berg!

Hans-Haiko Seifert

Druckfahnen

Den dritten Tag nun im Schatten des Apfelbaums an der Elbe. Es riecht nach faulenden Äpfeln. Schiller brauchte das zum Schreiben. Aber ich schreibe nicht. Ich sehe die Druckfahnen meiner „Joanna“ durch und werde schläfrig.