Der zweite Tag

Es kann sein, das man sich der Ostsee in kleinen Schritten nähern soll. Keine Ahnung, was das für einen Sinn hat. Aber so geschieht es gerade.
Also von Gartz aus den Norden erkunden. Das ist nicht so falsch. Der nördlichste Punkt wahrscheinlich, an dem noch brandenburgisch gesprochen wird, in diesem weichen Idiom, das anscheinend entlang der Oder Freunde findet. Im strömenden Regen mit Rad zur Kaufhalle. Hier wird das Katenhafte, das Geduckte dieses Landstriches deutlich. Keine Ahnung, ob es Untertanengeist ist.
Aber irgendwie provinziell , so wie das Gespräch, das ich vor der Norma Kaufhalle mit anhörte:
Mein Großvater hat 1980 schon jesacht, 2017 kommen de Chinesen und machen die Welt kaputt, das durfte man damals ja nicht sagen. Aber lest die Bibel, hat er gesagt, da steht es.
Und nu? Guck dir die Schuleinführung von Nancien an: wir mussten als Großeltern draußen warten. Hatter alles gewusst, der griechische Philosoph, der Nostrodamus, das sagt mein Großvater schon.
Gut dass es heute Vormittag regnete, so konnte ich den dritten Teil meines Manuskripts fast abschließen. Gegen Mittag nach Szczecin, denn es war wie immer im Urlaub, die Regie-Stühle als Lesesessel zu Hause vergessen. Und so vergeht der erste Tag, welche zu kaufen. In den riesigen Betonarealen vor der Stadt: Decathlon, Cantorama und wie die Bau- und Krempelmärkte heißen… Niemand hatte die Regiestühle. „Ach sie meinen die zum Fischen…“ sagte eine Verkäuferin. Da wusste ich Bescheid. Dieser Sommer war ein Angelsommer und jeder brauchte Angelstühle…
Also Szczecin. Wenn man angesichts der Hafenkräne ans Meer denkt… Falsch. Man kann noch nicht einmal ans Haff denken. Das liegt noch etliche Seemeilen nördlich.
Ach, die Altstadt von Szczecin… das ist eine Geschichte für sich. Es stehen noch ein paar prunkvolle Renaissance-Fassaden. Aber die Steine der zerbombten Stadt sollen angeblich nach Warschau transportiert worden sein.
Immerhin das Schloss wieder aufgebaut. Da war ich 2006 schon auf jener wundervollen Reise auf den Spuren der Solidarność. Im Schloss gab es ein Gespräch und ein Abendessen mit dem Innenminister der ersten gewählten Regierung unter Mazowiecki, das war 1989, als in der DDR die SED noch regierte…
Mein eigentliches Ziel war die Fassade der neuen Philharmonie. Die Polen bauen sich Philharmonien – unglaublich. Wie wundervoll und überaus modern der Bau in Wrocław. Von Bildern kannte ich die Philharmonie in Szczecin. Wie eine weiße Kathedrale, frei und stolz, wie ein Fünfmaster unter weißen Segeln dachte ich. Die Wirklichkeit war auch beeindruckend. Ein klein wenig beeinträchtigt durch banale Verwaltungsbauten in der Nachbarschaft. In meiner Vorstellung hätte sie gleich am Hafen gestanden.
Zum Abendessen in ein polnisches Restaurant auf der deutschen Seite der Oder.
Eine sehr gut gewürzte Rote-Beete-Suppe, Barszcz, nicht zu verwechseln mit meiner polnischen Lieblingssuppe, die klare Rote-Beete-Suppe Botwinka. Danach die besten Pierogi, die ich je hatte. Sie wurden noch einmal gebraten.